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Digitaler Unterricht funktioniert in Sachsen nicht – oder doch?

Dieser Artikel stammt aus dem SMK-Blog vom 17.Mai 2021, Originalquelle

»Ein einfaches PDF zum Ausdrucken und Ausfüllen ist keine digitale Bildung.« Wir haben mit dem Schulleiter der Kurfürst-Moritz-Schule, Heiko Vogel, über digitales Lehren und Lernen und die dabei ganz entscheidende Rolle der Schulleitung gesprochen.

 

Ein Jahr Corona liegt hinter uns. Wie sind Ihre Erfahrungen aus dieser Zeit? Was hat sich beim Lehren und Lernen verändert? Wie funktioniert der digitale Unterricht an Ihrer Schule?

Vom ersten Tag an in Orientierung an den Zeiten des Stundenplans, später wurde dann der Unterricht in Echtzeit dank Videokonferenz die Regel. Kompetenzen und Austausch zu digitalem Lernen sind unheimlich gewachsen, ein wahrer Schatz von erprobten Inhalten entstanden, auf dem man aufbauen kann. Neue Fragen stellen sich und werden sehr lebendig diskutiert. Wie können wir die Stärken digitalen Unterrichtens weiter effektiv nutzen und wie stärken wir das gemeinsame entdeckende Erleben in der Schule, um Schule weiterhin attraktiv zu gestalten?

Ganz praktisch ist es bei uns derzeit so: Der Stundenplan im Schulmanager zeigt das Fach, im Online-Fachbereich findet sich eine kurze Einführung in die Stunde, meist mit einem Link zur Videokonferenz, ein Klick und los. Begrüßung, Erläuterung des Lernziels und der Aufgaben, Anwesenheit, dann Lernbegleitung. Aufgaben, Videos, Übungen sind verlinkt, wenn es Fragen gibt, können diese gleich beantwortet werden. Auch hybrid, bei täglich wechselnden Gruppen, ist das bei uns so. Die Schülerinnen und Schüler daheim sind oft live im Unterricht dabei, auch wenn dies besonders herausfordernd ist.

Uns ist es wichtig, dass Schule in Echtzeit stattfindet, die Kinder also einen geregelten Start, aber auch einen geregelten Schulschluss haben. Eltern sollen gern am Abend fragen, was ihre Kinder heute gelernt haben. Aber sie sollen keine zweite Schicht einlegen müssen, um durch die Leitung geschobene Arbeitsblätter zu erläutern.

Welche Werkzeuge werden an Ihrer Schule für den digitalen Unterricht genutzt?

Kern ist Moodle auf dem Sächsischen Bildungsserver. Hier lässt sich Lernen gut organisieren, integriert gibt es sehr viele Möglichkeiten, Aktivitäten anzulegen. Genügt das nicht, können populäre Online-Tools wie LearningApps, Learning Snacks, Onkoo und Co. einfach eingebunden werden und sind dann integriert nutzbar.

Das Ganze gehört aber in einen Rahmen: Dazu gehören bei uns digitale Tafeln, ein sehr stabiles Schüler-WLAN, Webcams an den Computern, der Schulmanager für Organisation und Kommunikation. Ich würde es als Verlässlichkeit der Infrastruktur bezeichnen.

Viele Schulen nutzen inzwischen LernSax. Warum kommt es an Ihrer Schule nicht zum Einsatz?

2006 sind wir mit Moodle gestartet. Es war gerade auf dem Sächsischen Bildungsserver eingerichtet worden. LernSax gab es damals nicht. Alle an unserer Schule haben seither Zugang, Inhalte und Erfahrungen wuchsen. Die E-Learning-Plattform gehört fest zu unserer Schulkultur und war auch vor Corona Bestandteil unseres Unterrichtes.

Ein Umstieg ist aus zwei Gründen schwer vorstellbar. Einerseits wäre es ein enormer Aufwand, die gewachsenen Inhalte zu transferieren, andererseits bietet Moodle auch zahlreiche liebgewonnene Funktionen, die wir in LernSax vermissen würden.

Welche Vorteile bietet Moodle Ihrer Meinung nach?

Die Einbettung externer Inhalte als iFrame, Lernende verlassen so die Lernumgebung zu deren Nutzung nicht, dann die übersichtliche Struktur, die nutzerfreundliche BigBlueButton-Einbindung, die riesigen Möglichkeiten, die das H5P-PlugIn bietet, die Möglichkeit, dass Übungen automatisch bepunktet bzw. bewertet werden und natürlich, dass Moodle weltweit genutzt wird, so findet sich auf jede Frage irgendwo schon eine Antwort.

Sie sind also schon seit einigen Jahren digital unterwegs. Wie kommt das? Sind Sie als Schulleiter besonders engagiert?

Foto: Kurfürst-Moritz-Schule

Das hoffe ich doch, aber am Ende ist es das starke Team in der Schule, das die Ideen mitträgt. Etwas Mut gehört auch dazu, wenn man Neuland betritt und nicht an jeder Ecke fragen kann. So war es zum Beispiel bei der Einführung des Schulmanagers, einer Anwendung, in der wir von Notenbuch über Klassenbuch, Anwesenheit, Krankmeldungen, Elternbriefe bis zum Schulkonto viele Verwaltungsaufgaben erledigen. Die Einführung hat nur wenige Wochen gedauert, der Nutzen überzeugt und inzwischen ist es völlig selbstverständlich.

Wichtig ist aber auch die Zusammenarbeit mit Eltern, Schülern und Gemeinde. Zwei Beispiele hierzu: Die Corona-Tablets aus Bundesmitteln gab es bei uns bereits im Oktober. Der Förderantrag bei der SAB, der Sächsischen AufbauBank, war am ersten Tag gestellt, zwei Tage später bewilligt, kurz danach vom Gemeinderat das Angebot bestätigt. Das ging Hand in Hand.

Unser WLAN ist deshalb so modern und stabil, weil Eltern einen Spendenlauf organisierten, uns bei der Technik halfen und ihre Kinder das Geld erliefen.

Immer wieder kommt Kritik, die sächsischen Schulen wären unzureichend auf den digitalen Unterricht vorbereitet und könnten digitales Lehren und Lernen nur mangelhaft umsetzen. Teilen Sie diese Einschätzung?

Das ist wohl auch oft so, die Kritik nicht unberechtigt. Eltern zeigen verzweifelt auf Schulen, die Schulen auf die Schulträger, diese auf das Land, das Land auf den Bund, so als ob digitales Lernen »irgendwie von oben« kommt. Sicher ist Hilfe wichtig, aber die gab und gibt es. Förderprogramme und Fortbildungen zur Digitalisierung gibt es schon über 20 Jahre, der Sächsische Bildungsserver stellt schon seit den 90igern Ressourcen bereit und doch gibt es immer noch Lehrende, die ein einfaches PDF zum Ausdrucken und Ausfüllen für digitale Bildung halten. Wie kann das sein?

Letztlich kommt es wohl auf die gemeinsame Haltung zu Entwicklungsprozessen an und da sind alle Ebenen gefragt. Das Trainieren von handschriftlicher Texterstellung für die Deutschprüfung, die Nutzung von Papier-Wörterbüchern in der Englisch-Prüfung, das bremst Entwicklung. Digitalisierung ist kein Add-On, es ist ein anderer Weg. Auch die Verwaltung muss hier mitgehen, lebt sie »PDF-durch-Leitung« und Präsenzkonferenzen vor, dann wird dies auch in Schule so sein.

Schule kann sich enorm schnell verändern, wenn es eine aktiv-positive Haltung zu Entwicklungsprozessen gibt. Schließlich arbeiten hier viele verschiedene Fachkräfte an einer gemeinsamen Sache und haben darüber hinaus Zugang zu unzähligen unterstützenden Händen. »Wenn nicht jetzt, wann dann«, heißt es so schön. Aber zurück zu Ihrer Frage. Für mich ist Kritik an Schulen dann berechtigt, wenn auch jetzt noch der Onlineunterricht klemmt.

Welche Rolle spielt für Sie das Verständnis der Schulleitung hinsichtlich Ihrer Motivation zur Umsetzung Ihrer eigenen Konzepte zum Distanzlernen?

Dafür sorgen, dass Lernen stattfinden kann, das ist Aufgabe von Schulleitung. Lehrkräfte stehen derzeit vor enormen Aufwänden, guter Online-Unterricht ist, wie jeder gute Unterricht, aufwändig. Dies ist Anlass, besonders kritisch Arbeitsorganisation zu hinterfragen. Dienstbesprechungen sind gerade jetzt wichtig, aber natürlich online, gern auch mal ein Video vorab mit vorbereitenden Worten. Information an Eltern und Schüler, direkt und digital, kein Rennen nach Unterschriften im Klassenbuch oder Zählen von Versäumnistagen. Die Technik muss funktionieren, wenn Unterricht hybrid stattfindet, dann müssen überall Webcams sein und natürlich müssen passgenaue Austauschrunden und Fortbildungen angeboten werden.

Kinder auch in Distanz für Lernen zu begeistern, ist eine enorme Herausforderung. Natürlich freue ich mich darauf, wenn wieder ein Normalbetrieb an Schule herrscht, wenn Kinder wieder zum Lernen die Köpfe zusammenstecken, wenn gemeinsame Veranstaltungen wieder Höhepunkte sein werden und das gemeinsame »Rauskriegen« vordergründig in Schule stattfindet. Ich fühle mich aber derzeit vor allem auch motiviert, die »Digitale Schule danach« zu entwickeln.

Deutsch, Englisch, Mathe – egal, welches Fach – an Ihrer Schule läuft der Unterricht 1:1 weiter. Würden Sie uns einen Einblick in die tägliche Arbeit Ihrer Lehrerinnen und Lehrer geben. Was ist möglich? Gibt es Grenzen beim Online-Unterricht?

Der Unterricht ist sehr vielfältig und reicht von Erklär-Videos, Übungsplaybacks und interaktiven Übungen in Musik bis zur Video-Übungsstunde im Sport.

Hier ein Beispiel meiner Kollegin Luise Dienemann, Deutsch:

»Können Sie mich bitte gleich zum Präsentator hochstufen, wir haben ein Quiz zu unserem Vortrag vorbereitet und würden dieses gern über die Umfrage mit allen durchführen.«

Foto: Kurfürst-Moritz-Schule

Die Frage kommt von Janosch, Klasse fünf. Vorn an der Stirnseite des Unterrichtsraumes prangt eine Übersicht des Lernbereichs »Entdeckungen: Natur und Geschichte« am Display, der Bildschirm ist den Kindern daheim via Videokonferenz geteilt. Über der Lernlandkarte blinken vereinzelt Gesichter auf, die Schülerinnen und Schüler wollen sichergehen, dass sie während ihrer Präsentation gut sichtbar sind.

Noch wenige Tage vorher arbeitete eine Hälfte der Gruppe präsent in der Schule. Nachdem für die Lernenden daheim Gruppenräume in der Videokonferenz zur Verfügung stehen, mute ich das Headset und helfe einem kleinen Grüppchen vor Ort bei der Suche nach geeigneten Quellen auf der Kindersuchseite hellekopefchen.de. Im »Lesezelt« nebenan hat sich derweil Frida in den Online-Gruppenraum drei eingewählt und trägt einer Mitschülerin ihren bereits fertigen Präsentationspart vor. Schmunzeln muss ich als aus einem Hybrid-Grüppchen die Ansage tönt: »Warte, ich teile dir meinen Bildschirm, dann können wir den Schritt gemeinsam angehen.«

Später, da uns zum Zeitpunkt der Kurzvortragspräsentation eine erneute Schließung ereilt hat, liefern die Kinder vor der heimischen Kamera ab – unaufgeregt, gut vorbereitet und stolz auf ihre Leistung.

Die Zielebene bei der Gestaltung des E-Learning-Unterrichts hat sich mit der Möglichkeit der Videokonferenz verändert. Während im letzten Schuljahr noch die geeignete Auswahl von Tools im Mittelpunkt stand, beschäftige ich mich nun vielmehr damit, wie ich den digitalen Deutschunterricht für Kinder mit passenden Feedback- und Kooperationsmöglichkeiten planen kann. Dass dafür E-Books im Moodle mit selbst erstellten Lernvideos und interaktiven Übungen angelegt sind, ist mittlerweile Routine, auch im Präsenzunterricht.

Judith Schreiber, Englisch:

Foto: Kurfürst-Moritz-Schule

Die Gruppenräume in BigBlueButton sind für den Englisch-Unterricht eine tolle Sache: Die Schülerinnen und Schüler freuen sich über den Austausch in kleinen Gruppen und können hier intensiver miteinander arbeiten. Als Lehrerin kann ich in den Hintergrund treten und trotzdem – wie im Präsenzunterricht – den Kindern »über die Schulter schauen« und Tipps geben.

Außerdem nutze ich häufig interaktive Übungen, die ich mit H5P erstelle. Sie sind vielseitig einsetzbar und ermöglichen ein direktes und ggf. auch individualisiertes Feedback sowie eine übersichtliche Auswertung für mich.

 

Juliane Jentsch, Mathematik:

Mich hat zuerst erstaunt und dann begeistert, wie der »Zwang« zum Digitalen den Unterricht bereichern kann. Ein Beispiel:

In der Phase des Wechselunterrichts bediene ich während der Unterrichtszeit nicht zwei einzelne Gruppen, die maßgeschneidert zu unterrichten sind. Es gibt nicht die Lerngruppe in der Schule und die Lerngruppe zuhause. Es gibt die Lernenden, die eine intensivere Anleitung benötigen und die, die sofort selbständig arbeiten möchten. Diese können auf vielfältige Weise mit den E-Books von Moodle, den Lernpaketen, Moodle-Tests oder die mit H5P erstellten Übungen in Ruhe für sich arbeiten, sie erhalten sofort eine Rückmeldung und sind aufgrund der abwechslungsreichen Aufgaben motiviert beim Lernen – egal, ob zu Hause oder am Tablet in der Schule. Treten Fragen auf, heißt es einfach: Das Meldesymbol anklicken oder Mikro an und um Hilfe bitten.

Foto: Kurfürst-Moritz-Schule

Zeitgleich lernen diejenigen, die mehr Anleitung und gemeinsames Üben benötigen, mit mir an den von mir erstellten Übungen und Tools über BigBlueButton oder im Klassenraum. Bald kann selbständig an den Übungen weitergearbeitet werden, so dass ich nach wenig Zeit nur noch einen kleinen Teil unterstütze. Die Konzipierung des eigenen Unterrichts ebnet so den Weg zu interessanterem und ausdifferenziertem Unterricht für die Lernenden.